Die Begriffe Diversität und Inklusion begegnen uns heutzutage in allen gesellschaftlichen Bereichen – in der Bildung, der Wissenschaft, der Politik, der Arbeitswelt. Meist werden sie in einem Atemzug mit Schlagwörtern wie Integration, Chancengleichheit und Gendergerechtigkeit genannt. Doch was bedeuten die einzelnen Begriffe eigentlich? Wo liegen die Unterschiede, wo die Gemeinsamkeiten und lassen sie sich überhaupt trennscharf voneinander abgrenzen? Wir gehen für euch der Sache auf den Grund und zeigen darüber hinaus die Relevanz für uns als Bildner:innen.
Das Wort Diversität hat lateinische Wurzeln (diversitas) und bedeutet Verschiedenheit, Unterschied aber auch Gegensatz und Widerspruch. Zunächst benutzten Biolog:innen Diversität als Fachausdruck, um Artenvielfalt zu beschreiben. Mittlerweile hat der Begriff Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gehalten. Gesellschaftspolitisch hat das Konzept diversity seinen Ursprung in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre in den USA, die sich im Kampf gegen Rassismus gegenüber People of Color (PoC) formierte und für Chancengleichheit kämpfte. Heute wird im Deutschen oft das Synonym Vielfalt benutzt und steht für einen wertschätzenden und respektvollen Umgang mit dem Facettenreichtum aller Menschen. Diversität ist ein positiver Begriff und meint, Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zu akzeptieren und diese Vielschichtigkeit als Bereicherung zu erkennen.
In der heutigen Lesart bezieht sich Vielfalt auf verschiedene Persönlichkeitsmerkmale. Manche dieser Merkmale sind nur schwer oder gar nicht veränderbar wie zum Beispiel Geschlecht/Gender, Alter, Hautfarbe, Behinderung, soziale oder kulturelle Herkunft. Andere wie Familienstand, Einkommen, Gesundheitszustand, Religionszugehörigkeit oder Berufserfahrung können sich im Laufe des Lebens ändern. Bei Diversität geht es jedoch um mehr als die bloße Feststellung von Unterschieden oder Gemeinsamkeiten. Vielmehr ist Diversität eine Blickrichtung, die diese Merkmale als bereichernd, wertschätzend sowie respektvoll beschreibt und als Chance für unsere Gesellschaft betrachtet. Es geht also unter anderem auch darum, eigene Einstellungen zu reflektieren und Stereotype abzubauen.
Chancengleichheit und Diversität sind zudem kein reines Gedankenkonstrukt, sondern gesetzlich festgeschrieben. Allen voran natürlich im Grundgesetz, aber zum Beispiel auch in den UN-Menschenrechten, dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz oder dem Chancengleichheitsgesetz.
Diversität ist ein ressourcen- und chancenorientierter Ansatz, der die Potenziale aller Menschen in ihrer Verschiedenheit in den Fokus nimmt. Je nach Bereich gibt es jedoch Unterschiede. In der Wirtschaft werden zum Beispiel gezielt diverse Teams zusammengestellt, um so den Erfolg eines Unternehmens oder Projektes zu steigern (Diversity Management). Diversität in der Politik zielt verstärkt auf Antidiskriminierung und Chancengleichheit marginalisierter Gruppen. In der Bildung geht es hauptsächlich darum, den Grundsatz der Bildung für alle zu erfüllen und jedem Menschen die gleichen Chancen auf Bildung zu ermöglichen. Unterschiede werden hierbei nicht als Bedrohung, sondern als Zugewinn gesehen.
Integration und Inklusion sind zwei unterschiedliche Konzepte: Integration unterstellt, dass die Gesellschaft in der Mehrheit aus einer homogenen Gruppe von Menschen besteht, in die eine kleine Gruppe Außenstehender integriert werden, diese sich also der Mehrheit anpassen muss. In dem Konzept der Inklusion hingegen werden alle Menschen als gleichberechtige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet. Das heißt, dass nicht einzelne Menschen sich den Bedingungen anpassen müssen, sondern dass die Bedingungen von uns als Gesellschaft so gestaltet werden müssen, dass alle Menschen gleichermaßen teilhaben können.
Die Konzepte Inklusion und Diversität voneinander abzugrenzen, ist ein kniffeliges Unterfangen und beide Begriffe werden oft synonym benutzt. Das Konzept Inklusion geht ebenfalls auf Gleichberechtigungsbewegungen im US-amerikanischen Raum zurück. Es handelte sich hierbei um Behindertenverbände, die sich unzufrieden gegenüber der Integration behinderter Menschen zeigten. Demnach wird Inklusion zumeist mit Menschen mit Behinderung in Verbindung gebracht. Eine Möglichkeit der Unterscheidung beider Konzepte liegt darin, in Inklusion eine Handlungsaufforderung vor allem an Pädagog:innen zu sehen, während Diversität im Fachdiskurs eher auf der Beschreibungsebene diskutiert wird. Inklusion bedeutet im Bildungsbereich zumeist, dass Menschen mit Behinderung in eine gesellschaftliche Gruppe inkludiert und dort speziell gefördert werden sollen. Sie erfahren also in diesem Sinne keine Gleichbehandlung, sondern individuelle Förderung. Im alltäglichen Gebrauch und der allgemeinen Blickweise überwiegen allerdings die Gemeinsamkeiten beider Begriffe. So haben beide den positiven Blick auf Andersartigkeit gemeinsam und bezeugen einen gesellschaftlichen Perspektivwechsel weg von Befürchtungen und hin zu Chancen.
Um Diversität zu erzielen, also alle marginalisierten Gruppen einzubeziehen, müssen Räume inklusiv gestaltet und Hierarchien aufgehoben werden. In einer inklusiven Einrichtung werden demnach die Bedürfnisse aller Menschen mitgedacht. So gibt es beispielsweise rollstuhlgerechte Zugänge zu allen Räumlichkeiten, genderneutrale Toiletten, mehrsprachige Angebote und barrierefreies Bildungsmaterial. Ziel ist es, dass alle Menschen, gleiche Bildungschancen erhalten und sich gegenseitig bereichern. Die sogenannte Diversity Education (auch „Pädagogik der Vielfalt“) ist ein von der deutschen Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel in den 1980ern entwickelter reformpädagogischer Ansatz, der sich damit befasst, Diversität als Konzept an alle Menschen zu tragen. Die Diversity Education geht davon aus, dass jeder Mensch einzigartig ist und hat zum Ziel, jedem Menschen Achtung vor der jeweiligen Einzigartigkeit zu vermitteln. Die verschiedenen Fähigkeiten und Eigenschaften werden als Stärken und Chance betrachtet. Damit diese Zielsetzungen erreicht werden können, kommen zum Beispiel diverstitätssensible Lern- und Lehrmaterialien zum Einsatz. Zudem wird auch das pädagogische Fachpersonal in der eigenen Wahrnehmung geschult und mit eigenen, zum Teil unbewussten, Vorurteilen konfrontiert.
Eine Möglichkeit, Vorurteile zu reflektieren und abzubauen, ist der Anti-Bias Ansatz. Bias kommt aus dem Englischen und bedeutet Vorurteil, Voreingenommenheit aber auch Schieflage und Tendenz. Es handelt sich hierbei um einen praxisorientierten und erfahrungsbasierten Ansatz, der Diskriminierungs- und Machteffekte in der Gesellschaft aufdecken und zu einem vorurteilsfreien Umgang mit Diversität führen soll. Auch dieser Ansatz wurde in den 1980ern in den USA entwickelt und ist seit den 1990ern in Deutschland bekannt. In der Praxisarbeit kommen Methoden wie beispielsweise das Privilegienspiel “Ein Schritt nach vorn” zum Einsatz. In dem Spiel reflektieren die Teilnehmer:innen die jeweiligen sozialen Stellungen verschiedener Menschen innerhalb der Gesellschaft. Wir empfehlen euch jedoch, in eurer Praxisarbeit stets sensibel und reflektiert mit der Thematik umzugehen, da sich sonst unter Umständen Stereotype eher verfestigen könnten. Die Methoden sollen die Menschen dazu befähigen, eigenes Schubladendenken zu erkennen und abzubauen. Den individuellen Unterschieden soll Wertschätzung entgegengebracht werden. Der Anti-Bias Ansatz bezieht jegliche Diskriminierungsformen ein, ohne diese zu bewerten oder gleichzusetzen. Deswegen spricht man auch von einem intersektionalen Ansatz. Intersektionalität ist ein weiterer Begriff, der mit Diskriminierung und Diversität zusammenhängt. Doch was bedeutet das?
Intersektionalität (von engl. Intersection: Schnittpunkt, Kreuzung) beschreibt das Phänomen, dass unterschiedliche Diskriminierungsformen auch zusammenwirken können – als würde die Person in der Mitte einer Straßenkreuzung stehen. So erfahren Menschen beispielsweise Diskriminierung aufgrund der Tatsache, dass sie People of Color sind und Frauen oder weil sie eine Behinderung haben und ein geringes Einkommen. Den Begriff prägte die US-amerikanische Jura-Professorin Kimberlé Crenshaw. Intersektionalität meint also, dass unterschiedliche Kategorien der Ausgrenzung nicht nebeneinander auftreten, sondern sich gegenseitig beeinflussen und dadurch sogar neue Formen der Diskriminierung entstehen können.
Für uns als pädagogische Fachkräfte ist es wichtig, dass wir in unserer Arbeit stets bestehende Machtverhältnisse und eigene Bias reflektieren sowie uns der eigenen Positionierung innerhalb der Gesellschaft bewusst sind. Dies ist die Grundlage dafür, dass wir mit den Menschen eine diversitätsbewusste praktische Arbeit gestalten können unter der Prämisse: Verschiedenheit ist eine Bereicherung!
Kreatives Denken zum Wochenstart: Jördis Dörner schreibt in unserem Projekt Learning Architects aller zwei Wochen an alle Lerngestalter:innen. Der Newsletter möchte inspirieren, anregen und Menschen ins Handeln bringen.
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