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Algorithmen in Social Media: Warum schlechte Laune im Netz so gut funktioniert

Welche Beiträge wir im Netz zu sehen bekommen, bestimmt nicht der Zufall und auch nicht die Chronologie ihrer Erscheinung. Beiträge werden für uns nach Relevanz sortiert und gefiltert. Aber nach welchen Kriterien die Plattformen dabei vorgehen, wissen nur die Entwickler:innen selbst. In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, was Algorithmen mit den Inhalten unserer Timelines zu tun haben und welchen Einfluss das letztlich auch auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen haben kann.

Zur Einführung: Was sind Algorithmen?

Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift, mit der schrittweise ein Vorgehen beschrieben wird, welches zur Lösung eines Problems führt. Die Anleitung zum Aufbau eines Schranks oder auch das Rezept für einen Eintopf sind nach dieser allgemeinen Definition Algorithmen.

Algorithmen sind auch die Grundlage von Computerprogrammen. Denn der Computer kann nur exakt das tun, was der Algorithmus ihm als Handlungsanweisung vorgibt. So folgt beispielsweise eine Suchmaschine im Internet dem exakten Ablauf von Rechenschritten, um ihren Auftrag korrekt auszuführen. Da Algorithmen von Menschen entworfen werden, entscheiden die bzw. die Unternehmen, für die sie arbeiten, was genau die Maschine tut.

Was wir (nicht) über die Algorithmen der Social Media-Plattformen wissen

Im Zusammenhang mit Social Media-Plattformen wird häufig von Algorithmen gesprochen. In diesem Fall funktionieren Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter oder YouTube auf Basis von Algorithmen, welche die Relevanz von Inhalten für uns bestimmen. Denn – so die Annahme – je relevanter und interessanter Inhalte für uns erscheinen, desto länger und häufiger werden wir die Dienste nutzen.

Diese Strategie basiert auf einer Theorie der Kognitionspsychologie, dem sogenannten “Bestätigungsfehler” (engl.: Confirmation Bias). Die Theorie beschreibt das Phänomen, dass wir Menschen dazu neigen, uns Informationen so auszusuchen, dass sie die eigenen Erwartungen und Meinungen bestätigen. Unsere Interaktion mit der Plattform wird also intensiver, wenn wir uns bestätigt fühlen mit dem, was die Plattform uns anbietet. Und je mehr Zeit wir mit der Plattform verbringen, desto mehr Werbung präsentiert sie uns und dementsprechend generieren die Unternehmen mehr Einnahmen.

Die Relevanz von Inhalten errechnet der Computer anhand einer Analyse unseres Nutzungsverhaltens: Was schauen wir uns wie lange an? Was liken wir? Was kommentieren wir? Was teilen wir? Welche Hashtags verwenden wir? Mit wem sind wir befreundet? Was mögen unsere Freund:innen? Darüber hinaus werden u. a. Standortdaten, demografische Angaben im Profil und technische Angaben zur Gerätenutzung miteinbezogen. Diese Analyse ermöglicht nicht nur die passgenaue Filterung von „relevanten Inhalten“, sondern auch eine treffsichere Anzeigenschaltung, für die Werbetreibende sehr viel Geld bezahlen. So viel lässt sich zumindest über “Facebook for Business” herausfinden, wo Facebook für Werbetreibende genau beschreibt, welche „Targeting-Optionen“ in der Anzeigenschaltung möglich sind.

Wie genau die Algorithmen von Facebook, Instagram, YouTube & Co. Inhalte sortieren, filtern und ranken, ist allerdings ein schwer gehütetes Geheimnis. Weil genau das den Kern des Geschäftsmodells der profitorientierten Unternehmen betrifft.

Was wir über die Interaktion mit Inhalten wissen

Durch verschiedene Studien, in denen das Nutzungsverhalten der Plattform-Nutzer:innen untersucht wurde, konnten zumindest Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche Art der Inhalte mehr oder weniger Interaktionen erzeugen. Das könnte wiederum im Umkehrschluss bedeuten, dass der Algorithmus diese Inhalte bevorzugt hervorhebt.

Für Facebook konnten die Forscher:innen belegen, dass emotionalisierte Inhalte eine höhere Reichweite erhalten als andere Inhalte. Und: Je mehr negativ emotional konnotierte Begriffe ein Beitrag enthält, desto mehr Reaktionen und negative Kommentare bekommt er (Stieglitz & Dang-Xuan, 2012). In einer Folgestudie mit Blick auf die Micro-Blogging-Plattform Twitter fanden die Forscher:innen heraus, dass die Reaktionszeit von User:innen auf einen negativen Beitrag kürzer ist, als bei positiven Beiträgen (Stieglitz & Dang-Xuan, 2013).

Diese Erkenntnis kann eine Erklärung dafür liefern, warum die Plattformen sich lange sehr schwer damit getan haben, zum Beispiel Hasskommentare oder diskriminierende Inhalte zu löschen.

Algorithmische Entscheidung und (politische) Meinungsbildung

Die Plattformen und ihre massiven Datensammlungen für die algorithmische Entscheidungsfindung nehmen damit auch Einfluss auf die (politische) Meinungsbildung. Schon längst wird in der Öffentlichkeit eine Diskussion darüber geführt, ob die Plattformen – in ihrer Rolle als Mitgestalter von Gesellschaft – ihrer Verantwortung gerecht werden. Nicht zuletzt Facebooks Einflussnahme der Targeting-Technologie beim Brexit-Referendum in Großbritannien zeigte die potenzielle Tragweite auf politischer Ebene.

In Anbetracht des finanziellen Erfolgs, den die Plattformen mit polarisierenden Meinungen haben, bleibt es fragwürdig, inwieweit die Unternehmen ihre Algorithmen demokratiefreundlicher gestalten werden. Die Verantwortung für eine mündige Entscheidungsfindung liegt aktuell vor allem bei den Nutzer:innen.

Fazit: Es braucht Medienbildung!

Um eine mündige Entscheidungsfindung zu ermöglichen, brauchen Menschen das Wissen darüber, wie die Technologie funktioniert, die sie benutzen und welche Auswirkungen die Nutzung auf sie persönlich wie auch auf gesellschaftspolitische Entwicklungen haben kann. Dazu zählen die Grundlagen informatischer Bildung und das Wissen über Funktionsweise und Finanzierungsstrukturen der Plattformen. Zudem braucht es mehr Aufklärung und praktische Hinweise dazu, wie Menschen ihre Daten besser schützen können.

Praxistipp

Für die medienpädagogische Praxis mit jungen Menschen empfehlen wir unsere Methodenhandreichung Medienpädagogische Methoden für die Heranführung an Algorithmen und das Erlernen erster Programmierkenntnisse. Das Material wurde unter einer freien Lizenz veröffentlicht und steht allen Interessierten kostenlos zur Verfügung.

Und ihr?

Welche Erfahrungen oder Praxistipps habt ihr? Wir freuen uns, wenn ihr eure Hinweise in den Kommentaren teilt.

Literatur:
Stieglitz, S., & Dang-Xuan, L. (2012). Impact and Diffusion of Sentiment in Public Communication on Facebook. ECIS2012 Proceedings.
Stieglitz, S., & Dang-Xuan, L. (2013). Emotions and Information Diffusion in Social Media—Sentiment of Microblogs and Sharing Behavior. Journal of Management Information Systems,29(4) (S. 217–248).