Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (2019) empfinden fast zwei drittel der Menschen in Deutschland ihre Meinungsfreiheit bei bestimmten Themen als eingeschränkt. Grund dafür ist nicht etwa ein autoritärer Staat, der Meinungen zensiert, sondern vielmehr das Gefühl von sozialer Kontrolle.
Daraufhin titelten auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung „Immer mehr Tabuthemen“ oder die BILD „Erschreckende Umfragen – Deutsche trauen sich nicht, offen ihre Meinung zu sagen!“
Aber wie ist es tatsächlich um unsere Meinungsfreiheit bestellt? Zeit, mal einen genaueren Blick auf diesen viel verwendeten Begriff und ein teilweise falsch verstandenes Recht zu werfen.
In Deutschland hat jede:r „das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
So steht es in Paragraph 1 des Artikel 5 im Grundgesetz der Bundesrepublik. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein sogenanntes Abwehrrecht. Es dient also in erster Linie zum Schutz vor Übergriffen durch den Staat. Zudem ist die Meinungsfreiheit eine wichtige Grundlage des Wertesystems der Bundesrepublik.
Das Recht zur Meinungsfreiheit hat jedoch Grenzen, welche bereits in Paragraph 2 beschrieben sind: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit garantiert, dass die Staatsgewalt Menschen nicht wegen ihrer Meinung inhaftieren oder anderweitig verurteilen darf – es sei denn die Äußerungen greifen die Freiheit und die Würde anderer an. Jegliche Beleidigungen, Herabwürdigungen oder gar volksverhetzende Äußerungen sind also nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Diese Grenzziehung bildet die Einigung auf gemeinsam geteilte Grundwerte ab und ist enorm wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Es gibt kein Recht darauf, dass eine Meinung gehört wird. Weiterhin gibt es kein Recht darauf, dass eine Meinung unterstützt wird oder widerspruchsfrei bleibt. Wer seine Meinung äußert, muss damit rechnen, dass es dazu auch andere Meinungen gibt. Das Aushandeln der verschiedenen Meinungen ist ein kontinuierlicher Prozess und Grundbestandteil der Demokratie.
Wenn sich also Menschen in ihrer Position nicht gehört fühlen und bereits den Totalitarismus oder gar die Meinungsdiktatur heraufbeschwören, dann hat das mit dem Fehlen des Grundrechts nichts zu tun.
Meinungsäußerung und Meinungsbildung finden online wie offline statt. Mit dem Internet und den sozialen Netzwerken haben wir erstmals die Möglichkeit, uns ohne große Zugangshürden zu informieren und weitestgehend unreglementiert unsere Meinungen öffentlich zu äußern und zu diskutieren. Die Auseinandersetzungen sind mitunter sehr emotional und derb. Das erschwert es nicht auf rechtlicher, sondern auf zwischenmenschlicher Ebene, die eigene Meinung angstfrei zu äußern.
Die Beschäftigung mit Werten und Kommunikation im Netz bleibt ein wichtiges Thema. Nicht nur für die medienpädagogische Arbeit, sondern für die ganze Gesellschaft.
Denn mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung geht gleichzeitig auch eine Verantwortung einher, die erlernt werden muss. Wir müssen lernen (gewaltfrei) zu kommunizieren, Meinungen auf Augenhöhe und mit Empathie auszutauschen, zu diskutieren und zu bilden. Dazu gehört eine grundsätzlich respektvolle Haltung wie auch Kritikfähigkeit. Zum Thema wertschätzende Kommunikation haben wir im Rahmen dieser Kampagne bereits geschrieben.
Dazu zählen auch die Fähigkeiten, Informationen und Quellen einordnen zu können wie auch das Wissen darüber, wie die Algorithmen der Netzwerke funktionieren und inwiefern diese unsere Meinungsbildung womöglich beeinflussen.
Vielleicht kann es so gelingen, dass wieder mehr Menschen das Gefühl haben, ihre Meinung äußern zu können und damit auch motiviert werden, sich an der Gestaltung des Zusammenlebens beteiligen zu wollen.
Welche Erfahrungen oder Praxistipps habt ihr? Wir freuen uns, wenn ihr eure Hinweise in den Kommentaren teilt.
Kreatives Denken zum Wochenstart: Jördis Dörner schreibt in unserem Projekt Learning Architects aller zwei Wochen an alle Lerngestalter:innen. Der Newsletter möchte inspirieren, anregen und Menschen ins Handeln bringen.