Digitales Storytelling kann Lernprozesse bereichern und Freude am Lernen erzeugen. Was (digitales) Storytelling ausmacht und wie es in der Bildung eingesetzt werden kann, erklären wir im Blogbeitrag „Digitales Storytelling in der Bildung“. Hier möchten wir euch sechs Beispiele spannender Stories beziehungsweise gelungener Storytellingprojekte vorstellen. Bei der Auswahl der Beispiele war uns vor allem wichtig, dass sie medial unterschiedlich gestaltet und auf jeweils anderen (Social Media-) Plattformen veröffentlicht wurden. Nahezu alle Beispiele eignen sich zum Ausprobieren und Nachmachen in medienpädagogischen Projekten.
Es ist Herbst im Jahre 1989. Die 19-jährige Kunststudentin Kathrin (siehe Titelbild unseres Blogbeitrags) lebt und studiert in Leipzig. Per Messenger erzählt Kathrin täglich, was sie erlebt und wie es ihr, ihren Freund:innen und ihrer Familie geht – kurz vor dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der DDR. In den Nachrichten verschickt sie Texte, Bilder, Audios, aber auch originale Fernsehbeiträge und Zeitdokumente. Erweiternd zu den Nachrichten finden sich auf der zugehörigen Projektseite der Bundeszentrale für politische Bildung weiterführende Informationen zur historischen Einordnung und gegebenenfalls zur Verwendung im Unterricht. Das Projekt fand von August bis November 2019 – zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls – statt.
In der Langzeit-Multimedia-Reportage „Jeder sechste ein Flüchtling“ wird die Geschichte einer Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Meßstetten (Baden-Würtemberg) erzählt. In Video, Audio, Foto und Text-Form berichten die Journalistinnen Sandra Müller und Katharina Thoms aus dem 6000-Seelen-Örtchen und wie es sich durch die Aufnahme von Geflüchteten entwickelt. In den O-Tönen kommen vor allem Freiwillige und Geflüchtete selbst zu Wort. Die Journalistinnen begleiteten die Menschen von 2014 bis 2016 etwa zwei Jahre lang.
Die Multimedia-Reportage ist in Form von Scrollytelling veröffentlicht. Scrollytelling ist eine Kombination der Wörter Scrolling und Storytelling und bezeichnet Geschichten, die auf einer Webseite dargestellt werden und durch Scrolling nach unten oder zur Seite gesteuert werden können. Geschichten dieser Art können zum Beispiel mit Hilfe der Open Source und Publishing Plattform Pageflow erstellt werden.
Eva Stories, vom Regisseur Mati Kochavi, erzählt die Geschichte der 13-jährigen Jüdin Éva Heymann in Form mehrerer Instagram-Stories (@eva.stories). Die Geschichte ist fiktiv, basiert aber auf den Tagebucheinträgen der echten Éva Heymann und endet mit ihrer Deportation nach Auschwitz. In der Darstellung vermischt sich ein historisches Setting mit den modernen Mitteln der Kommunikation. Kostüme, Musik und Ausstattung der 40er Jahre treffen auf Selfies, Emojis, Hashtags und Sticker.
Ziel des Projekts ist, einer jungen, Social Media-affinen Zielgruppe die Schrecken des Holocaust näher zu bringen. Durch die konsequente Ich-Perspektive und die große Nähe zur Protagonistin sowie ihrer nächsten Angehörigen, gelingt das gut. Die Darstellung in kurzen Videoclips kommt den Sehgewohnheiten der Zielgruppe entgegen.
Bis heute hat eva.stories 1,2 Millionen Follower auf Instagram und ist damit zahlenmäßig ein großer Erfolg. Trotzdem bleibt am Ende die Frage, ob es der Erinnerung an ein historisches Geschehen wie dem Holocaust gerecht wird, indem die Thematik derart wirkungsvoll und modern aufbereitet wird – oder ob die Erinnerung dadurch trivialisiert und verkitscht wird. Aus diesem Grund empfehlen wir eva.stories in den Unterricht einzubetten und eine kritische Reflexion darüber zu anzuregen.
Der Außenseiter Stainboy, ein etwas ungewöhnlicher Superheld, ist der Protagonist von Tim Burtons Kurzfilmreihe „The World of Stainboy”. Im Jahr 2000 erzählte Burton in sechs Episoden aus dem Leben von Stainboy. Zehn Jahre später, im Jahr 2010, rief Burton Twitter-User:innen dazu auf, die Geschichte von Stainboy weiterzuerzählen. Unter dem Hashtag #BurtonStory veröffentlichten zahlreiche User:innen einzelne Sätze zur Fortführung der Geschichte auf ihren Twitter-Accounts. Burton kuratierte die Tweets und wählte 88 davon aus, die er anschließend auf dem Twitter-Kanal @BurtonStory retweetete. Damit entstand innerhalb von 14 Tagen eine kollaborative Fortführung der Stainboy-Story. Dem Kanal folgten innerhalb weniger Wochen mehr als 10.000 Follower. Damit schuf Burton nicht nur eine spannende Vollendung der Stainboy-Story, sondern insbesondere eine interaktive und gemeinschaftsstiftende Social Media-Aktion.
„Die gläserne Stadt“ ist ein Projekt des Vereins Aktion Zivilcourage in Pirna. Im Rahmen des Projekts wurde ein Actionbound erstellt, in welchem die User:innen die Aufgabe erhalten, den verlorenen Schlüssel des Bürgermeisters wiederzufinden. Neben kniffligen Rätselaufgaben, die zu lösen sind, lernen sie Wissenswertes zu politischen Beteiligungsmöglichkeiten in ihrem Ort.
Actionbound ist eine medienpädagogische Anwendung, mit der multimediale Erlebnistouren selbst erstellt und unterwegs mit dem Smartphone gespielt werden können. Dabei können verschiedene Medien, Rätsel und andere Spielelemente eingebaut werden. Auf der Webseite werden zahlreiche Stadtführungen, Bildungsrouten oder interaktive Geschichten angeboten, die kostenfrei gespielt werden können.
In „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ werden die Geschichten von 14 realen Personen, die zur Zeit des Ersten Weltkriegs lebten, multimedial nacherzählt. Die 14 Personen zeigen jeweils andere Perspektiven auf das Geschehen, da sie in verschiedenen Ländern lebten und unterschiedlich alt sind. Ihre Geschichten sind auf einer Webseite jeweils in einen Zeitstrahl eingebettet und werden in Video, Audio, Foto und Text erzählt. Zusätzlich beinhaltet das Angebot einen Fernsehfilm und eine Hörbuchreihe. Zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs im Jahr 2014 wurde das Projekt von verschiedenen europäischen Fernsehanstalten veröffentlicht. Für die Einbindung in den Unterricht bietet Planet Schule zusätzliche Unterrichtsmaterialien und Hintergrundinformationen an.
Tipp zum Nachmachen: Mit der Open Source Software TimelineJS von Knightlab können interaktive und multimediale Timelines erstellt werden.
Wenn ihr noch etwas tiefer die Thematik eindringen wollt, empfehlen wir euch unseren Beitrag “Erzähl mir nix?! Storytelling, Narration und Geschichten in der Bildung“. Hier werfen wir einen tieferen Blick auf die Kulturtechnik des Geschichtenerzählens und den Begriff Narrativ. Zudem beleuchten wir warum Storytelling so gut funktioniert und uns Geschichten in den Bann ziehen.
Durch Social Media-Platformen wie zum Beispiel Instagram haben sich neue Spielarten des Geschichten erzählen etabliert. In “Die Faszination für Influenercer:innen und ihre Geschichten” nehmen wir euch mit in die Welt des Influencing und werfen einen Blick hinter die Kulissen.
Foto: Abschied von Kathrin. (bpb | Illustration: Leitwerk) Lizenz: CC-BY-3.0
Kreatives Denken zum Wochenstart: Jördis Dörner schreibt in unserem Projekt Learning Architects aller zwei Wochen an alle Lerngestalter:innen. Der Newsletter möchte inspirieren, anregen und Menschen ins Handeln bringen.