In unserem Blogbeitrag Diversität und Inklusion in der Bildung haben wir euch bereits wichtige Schlüsselbegriffe im Kontext der Vielfalt sowie pädagogische Ansätze vorgestellt, mit denen ihr in eurer Arbeit diese Themen adressieren und Toleranz sowie Respekt gegenüber allen Menschen vorleben könnt. Denn Diversität leben bedeutet auch, konstant an sich selbst zu arbeiten, eigenes Schubladendenken zu erkennen und abzubauen. Den theoretischen Unterbau unseres vorherigen Blogbeitrags möchten wir in diesem Beitrag für euch greifbarer machen und auch ganz konkrete Beispiele für eure Praxis geben.
Die Fähigkeit über Sprache zu kommunizieren, macht uns Menschen einzigartig. Sprache ist das zentrale und wichtigste Mittel unserer tagtäglichen Kommunikation. Wir sollten uns dabei stets darüber bewusst sein, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Wie wir sprechen bestimmt unsere Denkmuster und unsere Wahrnehmung. In der Sprache spiegeln sich nicht nur bestehende Herrschaftsstrukturen, sie hat auch die Macht, diese Verhältnisse zu zementieren und uns zu beeinflussen. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob jemand tatsächlich genannt wird oder nur „mitgemeint“ ist. Dieser Umstand wird beispielsweise in der teilweise heftig geführten Debatte um das Gendern deutlich. Es regt sich Widerstand gegen das generische Maskulinum. Das Gender-Gap, Gendersternchen, der Genderdoppelpunkt oder das Binnen-I sind nicht nur in der Schriftsprache immer öfter anzutreffen, sondern werden zunehmend sogar – mit dem zumeist stimmlosen Glottisschlag (kleine Sprechpause) – mitgesprochen. Dennoch ist die Handhabung hier uneinheitlich. An vielen Schulen hält man sich beispielsweise an neutrale Bezeichnungen wie Schülerinnen und Schüler (SuS) oder Lernende. Erstere Bezeichnung, also SuS, muss sich allerdings der Kritik stellen, lediglich Frauen und Männer zu adressieren und andere Geschlechtsidentitäten auszuschließen.
Welche Bezeichnung ihr in eurem Arbeitsalltag wählt, können und wollen wir euch nicht vorschreiben. Wichtig ist es aber, dass ihr eure Perspektive reflektiert und euch klar darüber werdet, wen ihr mit welchen Inhalten ansprechen wollt und was eure Ziele sind. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Sprache stets im Wandel ist und wir diesen gerade im Zeitraffer erleben. Folgt man den Aussagen von Sprachforscher:innen, befinden wir uns als Gesellschaft gerade in einem Prozess des Ausprobierens und Aushandelns verschiedener Begriffe und Möglichkeiten an dessen Ende sich eine bestimmte Form durchsetzen wird. Das generische Maskulinum ist dennoch nicht mehr zeitgemäß. Postlinguistische Studien ergaben, dass wir beispielsweise bei dem Wort Handwerker keinesfalls automatisch auch an Handwerkerinnen denken.
Dasselbe gilt natürlich nicht nur für nicht-männliche Personen, sondern auch für andere soziale Gruppierungen, deren Perspektive oft nicht mitgedacht wird. So ist zum Beispiel auch unser Geschichts- und Weltverständnis zumeist ein eurozentristisches. Das heißt, wir blicken aus europäischer Perspektive auf außereuropäische Gesellschaften und legen bei der Betrachtung unsere Wertevorstellungen, Normen und Kategorien als Maßstab an. Dies lässt außer Acht, dass es auch ganz andere Perspektiven auf gewisse Thematiken geben kann. Europa bildet für uns zumeist das unreflektierte Zentrum unseres Denkens und Handelns. Ein anschauliches Beispiel liefert ein Blick auf eine Weltkarte, wie wir sie fast alle aus der Schule kennen. Wir sehen hier zumeist Europa in der Mitte, südlich Afrika, westlich Nord- und Südamerika. Darüber hinaus erscheint Europa im Vergleich zu den anderen Flächen größer als es eigentlich ist. Diese Version der Weltkarte zeigt die sogenannte Mercator-Projektion. Erstellt wurde sie im Jahr 1569 von dem flämischen Kartographen Gerhard Mercator. Es handelt sich um einen winkelgetreuen Kartenentwurf, der deswegen speziell für die Navigation auf See geeignet ist. Auch wenn dieser Entwurf mittlerweile global etabliert ist, verzerrt er dennoch die Realität. Ein Versuch, hier eine Alternative zu liefern, ist die sogenannte Gall-Peters-Projektion des deutschen Historikers Arno Peters aus dem Jahr 1974. Auf dieser Weltkarte steht nicht das kleine Europa im Zentrum, sondern das immens größere Afrika. Doch auch diese Karte weist Abweichungen zu den tatsächlichen Größenverhältnissen auf.
Um es kurz zu machen, es gibt rein mathematisch gesehen keine Möglichkeit eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Erde und ihrer Flächen anzufertigen. Keine Karte kann zugleich flächen-, längen-, winkel- und lagegetreu sein. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die Erde eine Kugel ist. Der Versuch, die Welt realistisch darzustellen wird mit dem Versuch verglichen, die Schale einer Orange flach auszubreiten. Ein mathematisch unlösbares Problem. Daher wird auch von dem “orange peel problem” gesprochen.
Ein Ansatz mit eurer Zielgruppe zu diesem Thema zu arbeiten, ist es, diese Problematik zu beleuchten und die verschiedenen Karten zu visualisieren, also beispielsweise für alle sichtbar im Zimmer aufzuhängen. Anschließend könnt ihr noch einen Schritt weitergehen und die Karten einfach andersherum aufhängen. Also so, dass der Süden oben ist. Dies ist ein völlig neue Erfahrung, die ihr mit euren Teilnehmer:innen diskutieren könnt. Die Initiative Bildung trifft Entwicklung bietet euch die Möglichkeit, die Gall-Peters-Weltkarte und ein Begleitheft online zu bestellen oder herunterzuladen. Eine weitere einfache Variante ist auch, sich die Welt anhand eines Globus zu erschließen.
Es gibt viele Möglichkeiten und mittlerweile unzählige Praxismaterialien, die die Bereiche rund um Diversität, Diskriminierung und Rassismus in der pädagogischen Praxis thematisieren. Im Folgenden möchten wir euch gerne einige davon näher vorstellen.
Gerade für uns als pädagogische Fachkräfte ist es aus den beschriebenen Gründen wichtig, ein bewusstes, gleichstellungsorientiertes und diversitätssensibles Sprachhandeln anzustreben. Im Netz findet man mittlerweile etliche Initiativen, die hierfür Glossare und Leitfäden zur Verfügung stellen. Diese eignen sich sowohl für die eigene Reflexionsarbeit und Schulung, lassen sich aber auch mit eurer Zielgruppe thematisieren. Das Antidiskriminierungsbüro in Köln stellt beispielsweise ein Glossar und Checkliste zum Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch zum Download bereit. Hier werden Wörter aus unserem allgemeinen Sprachgebrauch kritisch nach bestimmten diskriminierenden Kriterien evaluiert und neutralere Alternativen genannt. Ist dies noch ein eher allgemein gehaltener Leitfaden für diversitätsbewusste Sprache, so könnt ihr auch speziell zum Thema Ableismus, also der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, Arbeitsmaterial im Netz finden. Auf der Seite von leidmedien.de, einem Projekt des Sozialhelden e.V., erhaltet ihr zum Beispiel jede Menge Tipps und Materialien zu einem gleichberechtigten Leben mit behinderten Menschen. Das Team von leidmedien.de besteht aus Medienschaffenden mit und ohne Behinderung. In ihrem Leitfaden zu einer diskriminierungsfreien Sprache findet man zum Beispiel den Hinweis, dass es besser sei, Menschen mit Behinderung nicht damit zu beschreiben, dass sie „an den Rollstuhl gefesselt“ sind, sondern, dass sie „mit dem Rollstuhl unterwegs“ sind. Auf der Homepage von leidmedien.de findet ihr Hintergrundinformationen zu Begriffen über Behinderung von A bis Z sowie konkrete Hinweise zur Vermeidung defizitärer Formulierungen auf einem Infoblatt zum Ausdrucken.
Doch nicht nur unsere Sprache, sondern auch Bilder reproduzieren bestehende Hierarchien und gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse. Ihr solltet daher versuchen, auch bei der Wahl eurer Bilder, Vielfalt abzubilden und klischeehafte Darstellungen zu vermeiden. Dies kann durch die Abbildung verschiedener Geschlechter, Menschen mit oder ohne Behinderung, jungen und alten Menschen sowie von Personen mit unterschiedlichen ethnischen Herkünften geschehen. Stereotype wie zum Beispiel ausschließlich männliche Bauarbeiter, der Chef und die Sekretärin, diskutierende Männer und zuhörende Frauen solltet ihr vermeiden. Der Leitfaden Gender und Diversity in Wort und Bild der Stadt Freiburg bietet euch einen tiefergehenden Einblick und Beispiele für eine faire Sprache und Bildgestaltung.
Kreatives Denken zum Wochenstart: Jördis Dörner schreibt in unserem Projekt Learning Architects aller zwei Wochen an alle Lerngestalter:innen. Der Newsletter möchte inspirieren, anregen und Menschen ins Handeln bringen.